Religion und Moral im Recht des postnationalen Staates

Religion und Moral im Recht des postnationalen Staates:
Eine Neubetrachtung aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive

Gesellschaftswissenschaftliches Kolleg
der Studienstiftung 2013 — 2015

Leitung

Dr. Emanuel Towfigh, Max Planck Institute for Research on Collective Goods, Bonn
Prof. Dr. Stefan Magen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsökonomik, Ruhr-Universität Bochum

Inhalt

Die Arbeitsgruppe interessiert sich aus rechtstheoretischer Sicht für die Funktionsweise und die außerrechtlichen Voraussetzungen von Recht im modernen Verfassungsstaat. Sie richtet sich an Juristen wie auch an interessierte Sozial- und Geisteswissenschaftler und fragt, was aktuelle Forschungen zu den verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen von Gemeinsinn, Moral und Religiosität zu dieser Thematik beitragen können. Nach seinem rechtlichen Selbstverständnis beschränkt sich der moderne Verfassungsstaat darauf, der individuellen Freiheitsentfaltung in einem pluralen Gemeinwesen äußere Grenzen zu ziehen. Er distanziert sich von Religion und Moral, die als Schutzobjekt der individuellen Menschenrechte gegen den Staat in Stellung gebracht werden. Aber auch das säkulare Konzept der Nation wird mit der Einbindung der Nationalstaaten in ein Netz supranationaler Bindungen als Bezugspunkt von Gemeinsinn und Solidarität in Frage gestellt.

Diese Selbstdarstellung des Verfassungsstaats bietet möglicherweise aber auch nur eine halbierte, aufs Rationale verkürzte Sicht. So wurde etwa vertreten, die Menschenrechte verdankten ihre Karriere einer Sakralisierung des Menschen. Möglicherweise tragen implizite, moralische und religiöse Gehalte auch noch Weiteres zur Fundierung des Verfassungsstaats bei. Eine solche, die intuitive oder emotionale Seite von Institutionen umfassende Sichtweise wird jedenfalls durch jüngere Forschungen in den empirischen Verhaltenswissenschaften greifbarer. Sie zeigen, wie Institutionen auch von moralisch und religiös motivierten Verhaltensweisen getragen werden, die wiederum nicht unwesentlich von Emotionen, Intuitionen und impliziten Kognitionen beeinflusst werden. Welche Rolle diese ‘nicht-rationalen’ Seiten menschlichen Verhaltens für die Funktionsweise des modernen, staatlichen Rechts spielen, ist Thema der Arbeitsgruppe. Dafür wollen wir uns einen Überblick über die einschlägige verhaltenswissenschaftliche Forschung verschaffen und an aktuellen Problemen erörtern, was daraus für ein Verhältnis des postnationalen Verfassungsstaats zu Religion und Moral folgt.